Die Rückfahrt
Um auch an diesem Morgen früh genug wegzukommen, verzichte ich erneut auf das Hotelfrühstück. Ich fahre frohgemut um 05:30 Uhr los, bis ich feststelle, dass mit der Route auf dem Navi etwas nicht stimmt. Dieses 'jagt' mich hin und her und ich habe Mühe zu begreifen, wo das Problem liegt. Als ich die Route einmal etwas weiter herauszoome, sehe ich, dass da irgendwie Ljubljana in die Route geraten ist. Vollkommen falsche Richtung und weiss der Kuckuck, wie es dazu gekommen ist …
Aus einem Instinkt heraus hatte ich die erste Route (ohne Übernachtung in den Dolomiten) im Navi noch nicht gelöscht. Ich aktiviere diese und kann nun ordentlich losfahren. Das Hotel würde ich auch so finden.
Durch die Verzögerung bin ich nun genau zum richtigen Zeitpunkt auf der Höhe zwischen Jamnik und Lajse, so dass ich das schönste Bild der Reise mit dem Sonnenaufgang über Slowenien schiessen kann.
Das erste Laden in Zelezniki verläuft problemlos; gratis laden an einer einfachen Station mit meinem neuen Tool. Wäre ich sicher, dass ich in Tolmin wieder laden kann, würde ich darauf verzichten. Da die eine Dose dort aber einen Fehler hatte und ich nicht wissen kann, ob die zweite Dose nicht belegt ist, mache ich den Akku wieder weitgehend voll.
In Tolmin ist die Säule frei und funktioniert problemlos. Die Zeit zum Laden nutze ich, um Pulli und Wanderhose auszuziehen, welche ich unter den Töffklamotten trage. Es ist inzwischen schon 28 Grad heiss und sehr schwül ("tröckig", wie man im Appenzellerdeutsch sagen würde).
Die Strecke zwischen Carnia und Amaro ist nun befahrbar und erspart mir den Umweg der Hinreise.
In Amaro kann ich wieder laden, erneut aber nur mit gut 6kW. Ob es wirklich die Begrenzung wegen der Temperatur ist? Das Board-Display zeigt mir aktuell 29 Grad an. Jetzt vermute ich eher eine Fehlfunktion der Ladesäule.
Nach der Ladestation ist es das Ziel, auf die Strada Provinciale SP125 nach Tolmezzo zu kommen. Das Navi will mich durch eine gesperrte Sportanlage lotsen … - nun ja, das kommt zwischendurch einmal vor.
Als ich meinen Weg zur SP125 schlussendlich finde, ist diese gesperrt. Wenn man so was früher wüsste …
Ab Caneva geht es nun hoch in die Hügel über dem Tagliamento. Kurviger.de hat das schliesslich so vorgeschlagen. Über steile, bewaldete Hügel geht es einmal mehr auf engen Strässchen durch kleine Dörfer wie Fusea, Vinaio und Lauco rauf und runter, rauf und runter. Mir kommt spontan der 50-erjahrehit 'Stägeli Uff, Stägeli Ab Juhee' der Geschwister Schmid in den Sinn.
Auf einer langgezogenen, steil abfallenden geraden Strecke mache ich einen Versuch: Beginnend mit 50 km/h braucht die SR/F bei voll betätigter Rekuperation (2x100% im ECO-Modus; Gashebel und Bremshebel) ~18 Sekunden, um auf das Tempo 21 km/h zu reduzieren. Tiefer runter geht das Tempo nicht mehr; man müsste nun die mechanischen Bremsen einsetzen.
Es ist Mittagszeit, meine Reisegeschwindigkeit reduziert sich auf gut 35km/h und ich mag mir gar nicht vorstellen, wie es sich anfühlen würde, wären da nicht die kühlenden Bäume. Hätte ich die Schnellstrasse unten durchs Tal genommen, hätte ich gemäss Navi knapp einen Viertel der Zeit gebraucht, also nur zwölf Minuten. Aber hey, ich bin ja hier, um etwas zu erleben.
Inzwischen ist es schon deutlich nach ein Uhr mittags und ich habe heute weder etwas gegessen noch getrunken. Die Konzentration lässt deutlich nach. Auf der Hochebene bei Pian di Casa zwinge ich mich, abzusteigen, einzukehren und etwas zu essen.
Sie spricht weder Englisch noch Deutsch, ich kein Italienisch. Das erfragte Sandwich erweist sich als zwei grosse, heisse Toastscheiben mit etwas Schinken und Käse dazwischen. Hauptsache, es kommt jetzt etwas in den Magen.
Einige km nach der Pause befinde ich mich plötzlich wieder in bekanntem Gebiet, dem Razzo-Pass (Sella di Razzo). Auf dem Hinweg war ich weiter südlich Richtung Sauris abgebogen, nun komme ich von der nördlicheren Seite her.
Bei Auronzo di Cadore beginnt der von meinem Bruder empfohlene Teil. Die Strassen sind hier breiter, besser ausgebaut, aber im Moment leider auch viel stärker befahren … Am Lago di Misurina ist mächtig was los, ebenso wie am Passo Tre Croci, in Cortina d'Ampezzo und am Passo di Valzarego.
Cortina ist so richtig 'überlaufen'. Ich finde die benötigte Ladestation – und einen klimatisierten Ort, wo ich eine Glace essen kann.
Zwei, drei Häuser neben dem Lokal befindet sich die örtliche Polizeistation. Die Strasse ist nicht sehr breit, stark befahren und es hat viele Leute auch zu Fuss unterwegs. Ein Auto parkt trotzdem am Strassenrand für eine ganze Weile, ein Verkehrshindernis bildend. Zwei Polizisten unterhalten sich vor der Polizeistation offensichtlich ungerührt davon.
Überhaupt: Italien und Verkehrssignale … Als Motorradneuling bin ich erstaunt, dass die Geschwindigkeitsbeschränkungen in Italien offensichtlich rein als Vorschlag interpretiert werden, wie man sein Tempo im Moment gerade gestalten könnte. Innerorts mit 50 km/h fahrend, fühle ich mich immer wieder als Verkehrshindernis, so oft wie ich überholt werde.
Ennet des Passo di Valzarego in Richtung Rocca Pietore, gibt es plötzlich viel weniger Verkehr. Mir ist nicht ganz klar, ob dies an der fortgeschrittenen Zeit um halb sechs oder an der Strecke liegt.
In Rocca Pietore befindet sich mein noch kurzfristig gebuchtes Hotel. Mit €130.- fast dreimal so teuer wie jenes in Naklo, und immer noch deutlich teurer, als jenes, welches ich in Davos haben werde. Der Markt spielt … - insbesondere in Anbetracht des Hotels.
Positiv: Das Personal ist zwar stark auf Corona-Schutz bedacht, gleichzeitig aber sehr hilfsbereit. Erheiternd ist die Infrastruktur. Vielleicht so aus den 60-er bis 70-erjahren stammend. Alles sauber, aber ältlich. Es gilt z.B. genau herauszufinden, wie weit der Bart des Schlüssels ins Schloss einzuführen ist, damit dieser fasst und das Schloss geöffnet werden kann.
Der Eingangsbereich, die Rezeption, die Gänge: Überall gibt es kunterbunte künstliche Blumen, sind dicke Teppiche ausgelegt und finden sich Stofftiere. So richtig kurlig.
Um sechs Uhr schwinge ich mich wieder in den Sattel, um den Fedaiapass hochzufahren. Ab Canazei hat mir mein Bruder die Sellarunde empfohlen. Die muss jetzt aber warten, vielleicht im Herbst einmal.
Nun geht es zuerst wieder in tiefere, fruchtbare Lande mit dem Karer- und dem Kalterersee sowie dem tollen Mendelpass.
Auf dem Passo di Tonale fallen während der Mittagspause die ersten paar Tropfen. Auf der Talfahrt nach Ponte di Legno kann man zwischendurch von leichtem Regen sprechen.
Nach einer Regenpause meldet er sich auch wieder im Anstieg zum Gaviapass.
Auch am Gaviapass ist meine Veloklingel wieder häufig im Einsatz. Für mich ist nicht nachvollziehbar, dass man Freude daran haben kann, sich mit einem Fahrrad auf die 2'650m hochzuquälen. Quälen ist hier übrigens der richtige Ausdruck. Wer's nicht glaubt, begebe sich einmal auf diese Seite: http://www.quaeldich.de .
Wenn ich an all die Velofahrer denke, denen ich unterwegs begegne, bin ich wohl einem schönen Teil der bei der 'quäldich-Passjagd' Eingeschriebenen begegnet …
Abwärts des Gaviapasses zeigt sich ein Phänomen erneut, welches schon am Stilfserjoch in Erscheinung trat: Die Geschätzte Restreichweite der SR/F spielt verrückt. Zufälligerweise sehe ich im Display gerade, dass sich die Restreichweite auf ~640 km hochschraubt, um darauf wieder auf 0 gesetzt zu werden. Jetzt zählt sich die Anzeige in grossen Schritten von vielleicht 50 km wieder hoch, um dann so nach einer Anzeige von ~ 400, 500 oder 600 km wieder auf 0 zu fallen, und so weiter und so fort. Diesmal renkt sich die Anzeige wieder ein, sobald ich am Foscagno bin. Nach dem Stelvio schaffte die SR/F dies erst wieder nach dem Laden in Schlanders.
Mit Pässen von mehr als 2500 m Höhenmetern, respektive mit der Rekuperation die dabei entsteht, scheint die Firmware überfordert zu sein.
Die geschätzte Restreichweite ist natürlich sowieso immer mit Vorsicht zu geniessen. Bin ich zügig einen Pass hochgefahren, ist die Anzeige viel zu niedrig. Nach der Passabfahrt, ist sie zu hoch. Einerseits wird der Verbrauch der soeben gefahrenen km offensichtlich stark gewichtet in der Berechnung. Andererseits kann die Software weder wissen, welches Gelände vor mir liegt, noch welchen Fahrstil ich einschlagen werde. Auch weitere den Verbrauch beeinflussende Faktoren sind der Software natürlich nicht bekannt: Rücken- oder Gegenwind, nasse oder trockene Strasse, Temperatur.
Solche Dinge lernt man mit der Zeit ganz gut selber mit einzukalkulieren, wenn man elektrisch fährt.
In Bormio gibt es wieder Sonne und deshalb auch eine Glace. Mit ein Grund für die Pause: Ich habe das Kommunikationssystem des Helms im Hotel vergessen zu laden. Drum: Glukose für mich, Strom für's System.
Dass es in Bormio und der ganzen Region keine einzige Ladesäule gibt (schämt euch, Italiener …), weiss ich von meinen Vorabklärungen. Stutzig macht mich ein Schild am Strassenrand bei einer Autogarage. In grossen blauen Lettern auf gelbem Hintergrund steht da: "ELETTRAUTO".
Elektro-Autos und nirgends eine Ladesäule? Ein kurzes Umsehen macht mir klar, dass es wohl um die Autoelektrik von herkömmlichen Verbrennerfahrzeugen gehen muss …
Am Foscagno-Pass geht es plötzlich mit einem heftigen Gewitter los, mit Blitz, Donner und Starkregen. Trotz Blitzeinschlaggefahr fahre ich weiter, mich darauf einstellend, dass Handschuhe und Schuhe bald durchnässt sein werden. Marken-Jacke und -Hose halten die Werbeversprechen bezüglich Regendichtigkeit hoffentlich …
In Livigno erwarten mich 7 Ladesäulen. Ausser, dass sie mich nicht erwarten.
Die Wolken haben sich verzogen und es ist dampfend heiss. Die Strassen sind von Touristen verstopft – sei es in Autos oder von Spazierenden in den Fussgängerzonen.
Gemäss Goingelectric werden alle vom Netzwerk Plug'n Roll betrieben; hier habe ich ja den Ladechip.
Die ersten Ladeversuche an einer Säule vor einem Hotel wollen nicht gelingen. Irgendwann spricht mich eine Hotelangestellte an und sagt, dass die Säule nur für Hotelgäste zur Verfügung steht. Ich begebe mich wieder in den Stau und versuche es nach einiger Zeit am nächsten Ort: Die beiden Säulen sind besetzt.
Ich begebe mich erneut in den Stau und fahre zurück ans andere Ortsende. Hier finde ich die Säule erst nach längerem Suchen. Auch hier wird auf der einen Seite schon vornweg eine Fehlfunktion angezeigt. Aber auch auf der anderen Seite will es nicht klappen.
Entnervt gebe ich auf und mache mich auf Richtung Munt-la-Schera-Tunnel…
Im Nachhinein zeigt es sich, dass die Information in Goingelectric nicht oder nicht mehr stimmt: Es wird unterschieden zwischen Repower CH und Repower IT, welche ihre Ladenetze unabhängig voneinander betreiben. Plug'n Roll gehört zu Repower CH und mein Chip ist nutzlos.
In der Planung bin ich davon ausgegangen, dass ich in Livigno sicher irgendwo laden kann, bei 7 Säulen. Nun hoffe ich, dass es bis Davos reicht. Ob es Säulen zwischen Livigno und Davos gibt, damit hatte ich mich nicht auseinandergesetzt.
Um Strom zu sparen, fahre ich dem ganzen Lago die Livigno entlang die lächerlichen vorgeschriebenen 50 km/h.
An der 'Mautstelle' für den Munt-la-Schera-Tunnel kurz nach dem Staudamm, wieder auf Schweizer Gebiet, freue ich mich über den breiten Bündnerdialekt der Dame am Schalter. Wie gut, dass ich nun wieder ohne Einschränkungen kommunizieren kann.
Erneut geniesse ich den Ofenpass, auch wenn ich ihn nicht gleich zügig fahre wie mit vollem 'Tank'. Eingangs Zernez sehe ich, dass hier gleich mehrere Ladestationen vorhanden sind. Greenstorm kommt zum Zug: Die haben immer ein Ladekabel an der Station, so dass ich mein Ladesystem im Topcase lassen kann.
Wenige Meter von der Ladestation gibt es eine Pizzeria … - eine Pizza kann ich nun definitiv vertragen.
Danach ist auch mein Bike wieder vollgestromt. Es ist nach sieben und ich habe den Flüela praktisch für mich. Mit vollem Magen und vollem Akku geniesse ich diese letzten km des heutigen Tages in vollen Zügen; sie machen die Strapazen der letzten Stunden wieder vergessen.
In der Nacht spüre ich meine Müdigkeit und meine Muskeln. Ich nehme mir vor, nach dem Frühstück einfach nur noch zurück ins Appenzellerland zu fahren. Am Morgen ist das Wetter dann aber so strahlend schön. Sobald ich mich auf dem Bike befinde, zieht es mich nochmals den Flüela hoch.
Ich fühle mich nun doch sehr wohl und überlege mir, mir auch noch den Bernina zu gönnen und von dort aus zurückzufahren. Auf der Fahrt hinunter nach Susch merke ich aber, dass der Verkehr zunimmt, dass einerseits einige verrückte Strassenrennmotorradfahrer unterwegs sind, aber auch langsame Landschaftsgeniesser in ihren Kleinautos. "Oh – es ist ja Samstag …" - Nein, da wird der Bernina kein Vergnügen …
Ich kehre in Susch wieder um, fahre zurück nach Davos, lade nochmals und kehre zurück ins Appenzellerland.
Auch diesmal fahre ich wieder über das Toggenburg. Diesmal aber noch über die Schwägalp, Bächli, dann nach Schwellbrunn.
Am Mittag bin ich zurück. Und ich staune selber: Bevor ich am Abend im Ochsen in Schwellbrunn eingeladen bin, zieht es mich am Nachmittag nochmals auf den Töff für eine '35-km-Feierabendrunde'.
Schlussgedanken
Es zeigte sich, dass ich mit dem normalen Typ2-Ladekabel problemlos durchgekommen wäre und mir das Mitschleppen des JuiceBooster2 hätte ersparen können.
Mit dem PC05 wird das Problem aber deutlich kleiner sein.
Wenn man sich die benutzten Ladepunkte anschaut (siehe 'Reisefacts'), dann wird ersichtlich, dass ich viel zu häufig lud.
Wüsste man im Voraus, welche Ladestationen funktionieren, frei sind und mit den vorhandenen Ladekarten auch wirklich freigeschaltet werden können, wäre die Sache einfacher.
Hätte ich mir mehr Zeit für die Reise eingeplant, wäre der Druck ebenfalls kleiner gewesen, da notfalls Zeit vorhanden gewesen wäre, eine Industriesteckdose oder dann halt eine Schuko-Dose zu finden. Ich war mir dessen aber im Voraus bewusst.
Obwohl ich an den ganzen Tagen so 12-14h am Tag unterwegs war, war es ganz gut machbar. Die Energie reichte erstaunlich weit, wohl weil alles neu, die Strassen und die Gegend aufregend genug waren. Reichlich müde war ich dann am Ende des Tages allerdings jeweils schon.
Interessant war es zu beobachten, wie unterschiedlich auf das Elektromotorrad reagiert wurde. In Slowenien wurde ich kaum darauf angesprochen, auch wenn ich durchaus den Eindruck hatte, dass die Andersartigkeit beachtet wurde. In Italien war dies ganz anders: Da wurde ich gleich mehrmals befragt und mehrmals um Erlaubnis gebeten, ein Bild vom Motorrad machen zu dürfen.
Für mich war die Reise ein Wagnis, für Erfahrenere wäre es wohl weniger spektakulär gewesen. Wir besassen als Familie nie ein Auto; die SR/F ist für mich der erste motorisierte fahrbare Untersatz.
Eine längere Reise mit dem Elektromotorrad ist möglich. Auch für mich; Andere haben das längst pionierhaft bewiesen.
Ja, man muss sich auf die Ladeherausforderung einstellen und entsprechend vorbereiten. Vermutlich geht es aber auch noch deutlich spontaner; da habe ich sicher noch Luft nach oben …
Weitere Fotos sind hiereinsehbar.