Keine andere Marke vermag solche Glaubenskriege unter Töfflern auszulösen wie Harley Davidson. Man liebt sie oder hasst sie aber selten lassen sie einen gleichgültig. Wie kommts? Hier eine kleine Geschichte um ein Motorrad und die Menschen, die es fuhren.
In den 40er Jahren, als HD noch klein war, gab es wenig Konkurrenz. Es gab Norton, Triumph, BSA und Indian. Keine hatte soviel Hubraum (1200ccm) PS und Drehmoment wie HD. So erklären sich die Rennsiege von HD und daher kommen auch die heutigen "Sportster". Heute ist HD wieder ganz vorne dabei im Drag Racing. Typisch, wenns geradeaus geht...
Als die amerikanischen Soldaten aus dem 2. WK heimkamen, hatten sie wenig Geld und wenig Bock auf ein bürgerliches Leben. Die Armee und die Polizei boten günstig ehemalige Dienst-Harleys zum Kauf an. Die findigen Biker renovierten die Harleys in Eigenregie. Dabei erhöhten sie die Zuverlässigkeit und fertigten Einzelteile selbst an. Einige ihrer Verbesserungen haben es bis in die heutigen Serienmodelle geschafft, wie z.Bsp. schmale Schutzbleche, hydraulische Bremsen, Sissybars und lange Gabeln. Dazu kam eine gehörige Portion Patriotismus; Es war den frühen Bikern genauso wichtig, ein Motorrad aus einheimischer Produktion zu fahren, wie das stärkste erhältliche Motorrad zu fahren. Diese Gemeinsamkeit vereinte die Clubs, auch wenn sie sich nicht immer mochten, sie teilen ein gemeinsames Erbe aus dem Kalifornien der 40er. Die deutschen Clubs stammen noch direkter als die Amerikaner von den Armee-Kradlern ab. Deshalb trifft man in Deutschland auch häufig das eiserne Kreuz in einem Clubwappen an. Das hat nichts mit Nazi-Verehrung zu tun. Ich wage jetzt trotzdem mal zu behaupten, wenn die Japaner damals schon so fahrerisch überlegenen Bikes gebaut hätten, würde so mancher Rockerclub heute nicht existieren oder auf Reisbrennern unterwegs sein.
Dabei waren HD und die Rocker anfanges gar keine Freunde. HD produzierte damals vorwiegend Full Dressers mit allerhand Gelump dran, dass die Rocker einfach wegschnitten, auf englisch: "to chop". Daher stammt der Begriff Chopper. Man könnte meinen, HD sei erfreut gewesen über ihre wachsende Popularität in der frühen Bikergemeinschaft, aber im Gegenteil. Diese Verstümmelung ihrer Bikes war HD ein Gräuel. Auch die Männer, die diese Bikes fuhren, gefielen HD gar nicht. Diese schufen sich nämlich ihre eigenen kleine Welt, in der sie Angelegenheiten unter sich regelten, möglichst ohne Einflussnahme durch die Staatsmacht (das ist übrigens noch heute so unter den grossen Clubs). Schlecht für eine Motorradmarke, die ihr Geld mit Polizei, Armee und reichen Wochenendbikern machte. Dieses Dilemma führte soweit das einige Hells Angels ihre Freundinnen zum Einkaufen schicken mussten, weil die Händler ihnen keine Ersatzteile verkaufen wollten. Diese Haltung ist heute immer noch latent bei HD zu spüren, obschon ihr Nimbus aufgebaut wurde auf eben jenen kantigen Kerlen von damals, die sich sich einen Scheiss um das Establishment scheerten und ihr Leben so lebten, wie es ihnen passte.
Und dann kam Easy Rider. Der Sieg am internationalen Filmfestival von Cannes 1969 brach den Damm in Europa und der Impact auf die Verkaufszahlen war bombastisch. Diese Freiheit des Lebens nach eigenem Gutdünken, wie es Fonda & Hopper propagiertten, war nun definitiv mit HD verbunden und angeblich ist auch heute noch ein Stückchen jener Freiheit in jeder Harley serienmässig enthalten. Wer's glaubt, der spürts beim ersten Ausritt. Wers nicht glaubt, spürts auch nicht.
Heute ist HD so schlau und stellen ihre Bikes absichtlich unvollendeter her, als sie es könnten. Der Zubehörhandel macht einen erheblichen Teil des Umsatzes aus und ist bei keiner anderen Marke derart ausgeprägt, was diese insgeheim ganz schön neidisch macht. Geben sie natürlich nicht zu. Es gibt allerdings wohl auch keine andere Marke, deren Motorräder serienmässig customizing so dringend nötig haben. (Man betrachte nur mal den Schalthebel der Night Rod - unbrauchbar). Diese Innovationsfaulheit, auch Kontinuität in der Produktreihe genannt, hat den Vorteil, dass eine Harley immer wieder aufgebaut und renoviert werden kann, egal wie alt sie ist. Die Bikes sind zwar etwas pflegebedürftig, aber einfach nicht totzukriegen. Das schlägt sich denn auch im Werterhalt nieder.
Im Laufe der Zeit wurden HD-Motorräder einfacher zu fahren und zuverlässiger. Bei heutigen Harleys mit Gummi gelagertem Motor ist Zuverlässigkeit kein grösseres Thema als bei anderen Marken auch. Der neue Revolution-Motor der V-Serie wurde in Zusammenarbeit mit Porsche entwickelt und ist wohl die erste grosse Neuerung seit den Dreissigerjahren. Er spricht eine neue, fortschrittsorientierte Klientel an.
In der Tuningszene sind Harleys beliebt. Keine Verschalung, keine Leistung und offen darliegende Technik aus den 50ern, was will man mehr als Ausgangspunkt? Zum Fahren ist das allerdings nicht. Wer schon mal einen 300er Hinterreifen über einen Pass gefahren hat, weiss was ich meine. Wenn dann noch der Antriebsstrang links sitzt, hat die Maschine links ein Übergewicht, was beim Umwuchten Konzentration kostet. Auch die extrem breiten Lenker sind für enge langsame Kurven nicht zu gebrauchen. Den Schönwetter- Wochenendbiker stört das nicht gross und das ist ja die Hauptkundschaft von HD. Ich hätte deshalb noch eine Idee: ein Kreditkartenhalter aus verchromtem Stahl. 2 kg schwer. Für Frauen und HipHopper mit Svarowski-Glitzerstein-Einlagen. Buuh, böse und sexistisch!
Und wie kam ich zu HD? Anfangs beachtete ich Harley nicht. Zu schwer, zu unhandlich, zu teuer, zu zu zu... Ich fuhr meine Reisraketen und hatte Freude an Stoppies und flotter Kurvenhatz. Aber das Risiko fuhr mit und irgendwann wurde ich vernünftiger und nahm den Gashahn zurück. Daraus ergab sich aber das Problem, dass mein geliebter Joghurtbecher mit seinem perfektem Fahrwerk mich die Kilometer so ereignislos einfach und langweilig abspulen liess, dass ich mich ernsthaft fragte, ob denn Motorradfahren innerhalb der gesetzlichen Limiten noch Spass machen kann. Wo bleibt die Herausforderung? Da hab ich mich zurückerinnert an meine Zeit im Landdienst im Jura und das Traktor fahren. Da waren 30 km/h auf einem alten Hürlimann halt noch abenteuerlich. Das war so urchig und grobmechanisch, verbunden mit einem Sound, der kraftvoll war und nie langweilig wurde. Also habe ich mich überwunden, zum Harley Händler zur Probefahrt zu pilgern. Und da stand sie, die 1200er Sportster Custom Modell 2005. Sitzposition: perfekt. Ich wollte schon immer wissen, wie es ist, mit den Beinen voraus Motorrad zu fahren und so gemütlich sass ich schon lange nicht mehr auf einem Töff. Finger auf den Anlasser und das Ding zwischen meinen Beinen begann zu pulsieren.
Ich meine den Motor!
Das schüttelt und rüttelt wie ein lebendiges Herz! Sie lebt. Und der Sound soll legal sein? Erstaunlich. Das Poltern wuchs mir sofort ans Herz und mit einem kleinen Dreh am Gasgriff hörten auch die allermeisten Virbationen sofort auf. Nun dann, Kupplung ziehen. Mann, was für ein massiver Kupplungsgriff. Wurde das Ding aus dem Vollen gefräst? Ersten Gang einlegen. Wo zum Teu.. ah ja, weiter vorne. KLACK! Na dann los. Pladda Pladda Pladda.. mmmh, das geht ja gar nicht mal so übel. Bei niedrigsten Tempi ist sie sogar einfacher zu beherrschen als mancher kleiner Japaner mit hohem Schwerpunkt. Mal die Bremsen testen... hmmm? O.K. nochmals, diesmal fester. Skriiiech! Also, geht doch. Nichts für Dünnbrettbohrer, aber es geht. Da könnte ich doch eigentlich vorne eine zweite Bremsscheibe dranmachen und wenn ich schon dabei bin, wäre ein 19Zoll Vorderrad... Hoppala, die erste Kurve! Uiuiui, ob das wohl geht? Ja. Jaa. Immer noch. Geeeht doooch! Nicht ganz einfach, aber hat Spass gemacht. Nächste Kurve.
*schraddel* *schraddel* *schraddel*
Uups, die Schräglagenfreiheit. Kein Wunder bei dem tiefer gelegten Hinterteil muss der Schalldämpfer ja aufliegen. Mit einem Paar längerer Federbeine für hinten und etwas strafferen Gabelfedern vorne dürfte das zu beheben sein. Und dann war sie plötzlich da, die Freiheit. Freiheit vom Bedürfnis das Knie in den Asphalt zu drücken, Freiheit vom Bedürfnis, das Ding aufs Vorderrad zu stellen und den letztmöglichen Bremspunkt auszunutzen. Freiheit vom Bedürfnis, jeden Sportwagen zu überholen, nur weil ich es kann. Ich war angefressen und dabei ist es geblieben. Und wenn man will, dann kann man das Ding auch kräftig scheuchen. Das artet zwar in Arbeit aus, ist aber machbar. Es ist das Unperfekte, das Herausfordert, wo andere gedankenlos drüberbügeln, und die Strasse erlebnisreicher macht, fühlbarer und direkter. More smiles per hour. Noch nie hatte ich soviel Freude pro gefahrenen Kilometer.
Bis zum letzten Winter. Da musste ich feststellen, dass die Strassen tückisch glatt sein können, auch wenn man es nicht sieht. Ein ABS musste her und ich habe mich auf einen Marathon begeben um die einzelnen Systeme zu testen. Es gab tolle und weniger tolle Erlebnisse, aber das ernüchterndste Erlebnis hatte ich beim Harley Händler. "Gibt's nicht und ist auch nicht in Sicht". Tja, dann muss es HD halt auf dem bitteren Weg lernen. Ich werde kein Motorrad mehr kaufen ohne Blockierverhinderer, Freiheit hin oder her. Irgendwann werden sie es begreifen und dann komm ich wieder. Obwohl sie zuviel kosten. Obwohl sie weniger leisten. Obwohl sie zu schwer sind. Das provoziert Reaktionen von Leuten, die nicht dasselbe empfinden und nicht nachempfinden können, wie man für so einen Haufen Schwermetall soviel Kohle hinblättern kann. Ich weiss es. Weil mir auch bei legalen Tempi nie langweilig wird. Ich habe immer einen Sound zum Zuhören der nie langweilig wird und good vibes, die mich spüren lassen, dass wir beide leben und unterwegs sind. Und wenn ich mich in den tiefen bequemen Sattel meiner Harley Davidson sinken lasse und die Füsse vorne auf die Highwaypegs lege, dann gehört die Strasse mir. Mir allein.
Probiert es mal aus...