Seit April 2020 habe ich meine Zero SR/F nun also. Zwar sind schon 23'000 km damit zurückgelegt, aber eine so richtig grosse Reise (jedenfalls für meine Verhältnisse als Motorrad-Newcomer) habe ich bisher noch nicht gewagt.
Das System, mit welchem ich auch zu Hause schnell laden kann (JuiceBooster2) ist klobig und schwer. Mit dem Topcase 46 L kann ich es zwar mitführen; viel mehr hat darin dann aber nicht mehr Platz.
Metron Institut in Lesce Slowenien hat was Besseres; nur dumm, dass ich nicht früher davon wusste.
Metron hätte mir die Ladelösung PC05 (https://eauto.si/metron-shop/product/type2cee-3x16a-3-phase/) mit Adaptern natürlich auch in die Schweiz geschickt. Aber warum nicht gleich ein Abenteuer damit verbinden?
Endlich liegt eine etwas dauerhaftere Schönwetterperiode vor uns, so dass ich es wage, die gut 1'600 km in Angriff zu nehmen.
Wer sich die Strecke anschauen will, bekommt hier https://kurv.gr/9ws2K (Hinfahrt) und hier https://kurv.gr/9EvmU (Rückfahrt) genaue Details.
Oder er lädt sich die angehängten gpx-Files in das Programm seiner Wahl.
Die technischen Details (insbesondere Ladepunkte) finden sich im attachten PDF 'Reisefacts'.
Ich wollte durch die Dolomiten fahren, fand aber niemanden, der mir Auskunft über Lademöglichkeiten (Anzahl und Zuverlässigkeit) geben konnte.
Ich fahre gerne kurvige und auch eher kleine Strässchen, so lange sie befestigt sind.
Ich liess mir von Kurviger für die Hinfahrt einen Vorschlag machen, und passte die Route anhand von in GoingElectric gefundenen Ladestationen an.
Schon letzten Herbst wurde mir klar, dass ich eine Chipkarte von Shell (Newmotion) brauchen würde, sowohl für das Südtirol, als auch für Slowenien. Die Karte hatte ich mir inzwischen besorgt.
Immer noch sehr unsicher, ob ich genügend funktionierende und freie Ladestationen für Typ2 Wechselstrom finden würde, nehme ich besagten JuiceBooster2 mit. Damit würde ich notfalls unterwegs auch an einer normalen Industrie-Drehstrom-Steckdose (CEE16-5 oder CEE32-5) schnell laden können, oder ziemlich langsam an einer Schuko-Dose.
Hinreise
Am Montagmorgen geht es wie geplant um 06.00 Uhr los. Ich will gewappnet zu sein für Ladeprobleme, Umleitungen etc.
Die Hinfahrt plane ich in zwei Tagen durchzuziehen. Die Rückfahrt habe ich noch überhaupt nicht geplant.
Bis Davos fahre ich in einem Zug durch: Durch's Toggenburg via Wildhaus, über die Autobahn das Rheintal hoch bis Landquart. In Davos lade ich das erste Mal und freue mich auf die kommenden Pässe.
Den Flüela, den Ofenpass, den Umbrail und das Stilfserjoch hatte ich schon früher kennen gelernt, wenn ich diese auch von der anderen Seite her befahren hatte.
Auch diesmal überhole ich an all den Pässen reihenweise Velofahrer. Ich mache intensiv von meiner zusätzlichen Fahrradklingel gebrauch. Am Umbrail holt mich, nachdem ich austreten musste, eine zuvor überholte Velogruppe passaufwärts wieder ein. Als ich erneut langsam zum Überholen ansetze, ruft mir die Gruppenletzte mit einem Thumbs-Up ein vernehmliches 'bravo, bravo, electrico !!' zu und strahlt mich trotz ins Gesicht geschriebener Anstrengung an.
Genau – DESHALB habe ich ein Elektromotorrad gewählt, um niemanden mit Lärm und Abgasen zu plagen. Dazu kommt: Ohne Schaltkrämpfe mühelos die Haarnadelkurven hochzufahren, fein dosiert am Gas- resp. Elektrogriff, gleichzeitig aber immer mit im Überfluss vorhandenem Drehmoment aus den Kehren fahren zu können – das macht Spass!
Schon lange hatte ich mich auf das Vinschgau gefreut. Nun liegt es vor mir – mit all den vermutlich tausenden Tonnen Äpfeln, welche wohl bald geerntet werden. Ich sichte mehrere Riesen-Harassenlager.
Bei der Planung war ich mir unsicher, ob ich von Meran nach Bozen den Weg durchs Tal nehmen sollte, oder oben durch die Berge mit den gewundenen Strassen.
Ich entschied mich für die Berge, was sich jetzt total lohnt. Die Strassen sind gut ausgebaut, zwischendurch gibt es immer wieder tolle Ausblicke aufs Tal hinunter – und es ist nicht so brütend heiss.
Gewisse Strässchen sind nun wirklich schmal und sehr steil. Einmal mehr freue ich mich, dass die Bremsenergie durch Rekuperation zurück in meinen Akku fliesst, anstatt die Bremsscheiben abzunutzen und aufzuheizen. …!
Eine 'Abkürzung', direkt oberhalb von Bozen, werde ich wohl kein zweites Mal mehr nehmen: Das 'Kleinststrässchen' durch Rebberge ist unglaublich steil und ich bin einfach nur froh, dass ich niemandem sonst auf dem Weglein begegne.
In Bozen sind es gut 30 Grad und ich bin in meinen schwarzen, regenwettertauglichen Töffklamotten unterwegs. Wegen der Ladelösung habe ich keinen Platz mehr für leichtere Motorradkleider.
Die gute halbe Stunde Ladestation suchen (eine freie, von ca. 17 Stationen) ist herausfordernd wegen Hitze, Müdigkeit und italienischen Verbotsschildern, bei denen ich nicht so recht verstehe, was die eingeschränkte Zufahrt denn nun genau bedeutet.
Immerhin: Mit dem Elektromotorrad erregt man auch in bevölkerten Fussgängerzonen kaum negatives Aufsehen, wenn man sich im Schritttempo bewegt.
Meine Aufregung steigt nun noch zusätzlich an. Für das Südtirol hatte ich weniger Bedenken bezüglich der Ladestationen. Jetzt liegt aber der Streckenteil vor mir, bei dem die Stationen wirklich nur selten anzutreffen sind.
Der frühe Morgen (04.45 Uhr) ab Bozen mit der Sicht auf die Rosengartengruppe im Sonnenaufgang, später Falcade und der Duranpass sind ein Highlight. Ich geniesse es, am frühen Morgen die Strasse für mich zu haben …
Das Laden in Moena ist speziell: Es gilt, ein Parkticket zu ziehen. Dieses muss an den Ladestationen gescannt werden, damit die Säulen freigeschaltet werden. Ich brauche eine Weile, bis ich die genaue Reihenfolge begriffen habe und bis ich die italienischen Anweisungen richtig interpretiere. Die ersten 45 Minuten Parken sind gratis und der Strom kostet nichts extra. Da ich noch nicht sehr weit gefahren bin seit Bozen, brauche ich längst keine 45 Minuten, so dass das Laden hier gratis ist.
Schon bald nach dem sanften, angenehmen Passo San Pelegrino, kommt Falcade. Die Ladestation von Greenstorm muss ich eine Weile suchen. Sie befindet sich in einer engen, deutlich abschüssigen Garageneinfahrt eines Hotels. Ein herkömmliches Auto ist in der Garageneinfahrt geparkt. Der Platz reicht aber für meine SR/F um daneben parkieren und laden zu können. Sobald ich mich neben der Ladestation positioniert habe, realisiere ich noch bevor ich absteige, dass ich wegen des Gefälles erstens meine 'Pseudo-Parkbremse' in Form eines speziellen Klettbandes benutzen muss, mit welchem man die Vorderradbremse in gezogenem Zustand fixieren kann. Zweitens ist mir klar, dass ich aus dieser Einfahrt nicht mehr ohne fremde Hilfe kommen werde. Die 230 kg werde ich alleine nicht aus der Einfahrt hochkriegen. Obwohl es gemäss Fachleuten einfach sein sollte, bei einem Elektromotor einen Rückwärtsgang zu realisieren, existiert ein solcher nicht. Wie oft wäre ich doch darum schon froh gewesen ….
Mit Händen und Füssen kann ich einem freundlichen italienischen Hotelgast nach dem Laden klarmachen, dass ich kurz seine Hilfe brauche …
Besonders spannend sind etwas später kaum beleuchtete enge Tunnels, mit nassrutschigem historischem Kopfsteinpflaster. Sie befinden sich im Val Lumiei, auf der Verbindung von Sauris mit Ampezzo nach der Staumauer.
Danach gibt es einen langanhaltenden Blick auf den rechtsliegenden wildromantischen Tagliamento und sein Flussbett. Diesen überquere ich später nach Amaro.
In Amaro funktioniert die Ladestation. Sie 'gibt' mir aber nur gut 6 kW von eigentlich 11.6 möglichen kW von Seiten meiner SR/F, obwohl es sich um eine Station mit 43kW-Stecker handelt. Ob hier mein Motorrad die Ladeleistung wegen den vorherrschenden 31 Grad drosselt?
In der Mittagspause in Amaro meldet mein Garmin zumo XT-Navi, dass es die Strecke wegen einer vor mir liegenden Streckensperrung anpasst. Einmal mehr werde ich mit einem bekannten Bug des XT konfrontiert, welcher bei Neuberechnung einer Strecke einfach einmal primär die schnellste Variante mit Autobahn bis zum nächsten Zielpunkt wählt, egal welche Streckenprioritäten hinterlegt sind.
Nichtsahnend fahre ich los, der Navigation folgend, um mich dann unverhofft an der Mautstelle für die italienische Autobahn wiederzufinden. Ohne eine Ahnung zu haben, wie das System funktioniert, komme ich mit einiger Nervosität und schweissgebadet, schlussendlich aber ohne Probleme durch, auch weil ich eine 2€-Münze griffbereit habe.
Das Navi führt mich auf einen unnötig langen Umweg über Gemona. Temperaturmässig angenehmer wird es wieder, als ich der Fella zu meiner Linken folgend rechts Wald habe. Auch auf der Rückreise ist der mächtige Kühleffekt von Bäumen in Waldnähe zu spüren.
So richtig spannend wird es ab Resiutta, mit seiner sehr hügeligen Gegend, der zunehmend schlechteren und sehr steil ansteigenden Strasse zur Sella Carnizza. Von der Sella Carnizza an ist die Strasse durch das Ucceatal frisch geteert, aber sehr eng, unübersichtlich kurvig und mit viel Kies versehen, das vom Regen in den steilen Hängen auf der Strasse liegen bleibt. Dazu Laub, da sich die Strasse in vollständig bewaldetem Gebiet windet.
Die Gegend ist atemberaubend, ich muss die Strasse aber sehr vorsichtig, oft im Tempo von 20-30 km/h befahren. Unbemerkt überfahre ich hier die Grenze Italien/Slowenien.
Gefühlt 'endlos' geht es danach sanft in tiefere Lagen. Abwechslungsreiche kurvige Strassen mittlerer Grösse, meist in ganz ordentlichem Zustand und immer wieder Ausblick in die Hügel und Täler gewährend.
In Kobarid steht mein erster Ladeversuch in Slowenien an. GoingElectric hat eine Bedienungsanleitung für die Säule integriert und vermerkt den Strom als gratis.
Nun – es steht eine neue Säule da – und bei mangelnden Sprachkenntnissen gelingt es mir nicht, diese freizuschalten. Irgendwo gibt es einen Menüpunkt 'Language', aber ich schaffe es trotzdem nicht, die Sprache zu wechseln.
Ich ziehe unverrichteter Dinge ab; ich mag keinen der Kunden des benachbarten Warenhauses belästigen. Ich müsste jemanden finden, der genügend Englisch spricht und mir mit der Säule auch wirklich helfen kann. Mein Akku hat noch einigen Strom vorrätig und ich hoffe nun einfach auf die nächste Säule.
Die Säule in Tolmin ist frei. Die Dose Links zeigt ein rotes Licht, typischerweise das Signal für Fehlfunktion. Die Dose rechts steht aber auf Grün. Nun stehe ich vor demselben Problem. Die Säule ist älter und hat richtige Tasten von 0 bis 9, zusammen mit einem einfachen digitalen Display.
Mit etwas Herumdrücken finde ich die Taste, welche mir einen Sprachwechsel anbietet, so dass ich schlussendlich laden kann.
Nach einiger Zeit fährt ein niederländischer Tourist mit seiner Familie im Elektroauto vor und möchte ebenfalls laden. Während meine SR/F fertig lädt, tauschen wir unsere Erfahrungen aus.
Einerseits weil der Tourist hören will, wie mein Motorrad tönt (oder eben nicht tönt), andererseits, weil ich ihm an der Säule zügig Platz machen will, passiert mir einmal mehr, was immer wieder einmal vorkommt: Ich vergesse meinen 'Abfahrts-Check': Topcase und Seitenkoffern zu und abgeschlossen? Die Jackentaschenreissverschlüsse mit den Schlüsseln, Handy und Portemonnaie verschlossen? Die Rucksackschnallen zu? Ich fahre ab – und höre den Holländer hinter mir rufen: "Your key!". S…t - Der Schlüssel steckt noch im Topcase. Ich halte überhastet, klappe den Seitenständer herunter und bemerke nicht, dass ich mich noch auf leicht abschüssigem Gelände befinde. Beim Absteigen rollt die SR/F ab dem Seitenständer und beginnt in meine Richtung zu kippen. Den Sturz der Maschine auf die Seite kann ich nicht mehr aufhalten, nur noch etwas 'abfedern'.
Der Alluminiumschutzknopf am linken Lenker ist erneut zerkratzt, und der linke Seitenkoffer ist aufgesprungen, arg zerkratzt und leicht verbogen. Immerhin nur so leicht, dass er sich noch schliessen und abschliessen lässt.
Die restlichen ca. 80 km bis nach Naklo, meinem Übernachtungsziel, verlaufen relativ gemütlich. Immer wieder gilt es, mittels Haarnadelkurven wenige hundert Meter hoch und später wieder runter zu klettern. Es geht Flussläufen entlang, durch kleinere, teilweise pitoreske Dörfer. Bauern rechen ihr Heu zusammen und einige gemütliche Velofahrer sind unterwegs.
Zwischen Lajse und Jamnik bietet sich ein Toller Ausblick auf das 'Flachland', auf entferntere Hügel und eine alleinstehende, von der Sonne beschienene Kirche. Immer wieder muss ich entscheiden, ob ich nicht doch nochmals anhalten und Bilder machen soll.
Um 19.15 treffe ich in Naklo ein. Dass ich die Ladesäule vor dem Hotel wegen Sprachproblemen auch nicht freischalten kann, macht mir momentan keine Sorgen: Ich habe noch 63% Strom im 'Tank'.
Der Zwischentag
Am Mittwoch fahre ich gut 12 km von Naklo nach Cesnjkca pri Kopri, dem technischen (Entwicklungs)Zentrum von Metron. Andrej erwartet mich dort mit dem von mir bestellten PC05. Ich bringe ihm einen T12-Montagestecker mit für das Adapterkabel, so dass ich auch in der Schweiz mit dem neuen System an der gängigsten Haushaltsteckdose notladen kann.
PC05 ist viel kompakter/leichter als der JuiceBooster2.
Es gibt einen längeren, freundschaftlichen Austausch mit Andrej, ein Erinnerungsbild und selbstverständlich wird mein Motorrad gleich vor Ort mit meiner neuen Errungenschaft 'vollgetankt'.
Danach kehre ich ins Hotel zurück. Eigentlich hatte ich ja geplant, an diesem Tag noch einen Abstecher nach Ljubljana, der Landeshauptstadt zu machen. Diese war mir von mehreren Seiten als sehr schön empfohlen worden. Nur – es ist schon in Naklo 31 Grad heiss. In Ljubljana dann vermutlich noch heisser. In meinen schweren Töffklamotten bei über 30 Grad? Nein, das will ich mir trotz aller Empfehlungen nicht antun.
Stattdessen entschliesse ich mich, die Rückreise im klimatisierten Hotelzimmer zu planen. Mein Bruder, jahrzehntelanger Motorradfahrer, hatte mir empfohlen, die Dolomiten weiter nördlich zu befahren und dabei auch konkrete Vorschläge für die Route abgegeben.
Ich brauche etwa zehn Stunden für die sorgfältige Planung, welche ich auf mein Navi übertrage.
Am Ende realisiere ich, dass fast ganz Deutschland noch Schulferien hat. Ein Check bei booking.com zeigt mir, dass es in den Dolomiten kaum noch Zimmer zu vernünftigen Preisen gibt. So entschliesse ich mich, doch jetzt schon zu buchen. Den Übernachtungspunkt nehme ich nachträglich in die Planung auf und übertrage sie auf das Navi.
Zugehörige Fotos sind hier Foto-Link einsehbar.