Hab heute im Briefkasten einen Brief gefunden. Man hat mich nicht vergessen *Freu*
Bevor ich diese Nachricht eines Freundes öffne, öffne ich zur Feier des Tages einen feinen Rotwein: Château Contredepression, Appellation Schütthalde Nordlage, grand cru déclasse. Eine Empfehlung meines Schweinehändlers. Zu jeder Flasche Wein gabs gratis zwei Aspirin dazu. Ich bin begeistert von der Inovationskraft unserer Weinbauern. *Glas einschenk* Ein mächtiger Wein mit einem feinen, graziellen säuerlichen Abgang.
Bevor ich den Brieföffner ansetze noch ein Blick auf den Absender. Ah, von Deinen Freunden und Helfern aus dem fernen Kanton. Sie mögen mich, dass sie mir von so weit her schreiben. *Nachschenk*
Ein eleganter Schwung und das Couvert gibt seinen Inhalt preis. Es ist ein längeres Schreiben. Ich bin mir nicht sicher, ob das nur gute Nachrichten sind, die da drinn stehen. Darum: *Nachschenk*
Wie ich befürchtet habe. Da hat doch so ein lizenzierter hinterfötziger Wegelagerer mit seiner Kamera ahnungslose, schuldose und harmlosse Touristen auf ner Sonntagsausfahrt geknipst und behauptet dann, er hätte eine Geschwindigkeitsüberschreiung bemerkt. Stumpfsinn! Unmöglich! Gegen ein Schweigegeld von Fr. 100.-- würde er das aber niemandem erzählen. Und das mir. Bin ich denn doof? Dieser Bastard hat ja schon meinen Freunden geschrieben. Aber offenbar wusste er nicht, dass das MEINE Freunde sind. *Nachschenk*
Als wenn ich überhaupt so schnell fahren würde. Nie und nimmer. Auch fährt mein Motorrad nicht so schnell. Und überhaupt: Diese Anschuldigung ist eine himmelschreiende Ungerechtigkeit. *Nachschenk*
Meine Freunde raten mir in dem Brief, ich solle es zahlen und dann würde niemanden erfahren, wer da gefahren ist. Sie würden dann auch schweigen. Ich finde den Ratschlag gut und überlege mir, was ich machen soll. *Nachschenk*
Am Besten gehe ich zu meinen Oberfreunden in der Hauptstadt und frage sie, ob ich den Ratschlag der Freunde aus dem anderen Kanton, wo diese miesepetrigen Wegelagerer arbeitet, befolgen soll. *Nachschenk*
Als Hardcore-Biker hol ich mein Motorrad aus der Garage. Wär ja gelacht, da können sich meine Freunde gleich selber überzeugen, dass das gar icht so schnell fährt. Ich stell dann leider fest, dass die Steuerung unpräzise ist. Muss wohl am Lenkkopflager liegen. Beim nächsten Service werde ich mal den Mech deswegen fragen. *Nachschenk* Ach, geht ja gar nicht, das Glas ist in der Wohnung. Also zurück zur Wohnung. *Nachschenk*
Ich zieh mich an und werf mich in meine feinste Töffkluft. Fast keine Abriebspuren dran. Nur einen Hauch von Asphalt. Dafür der Duft von vermodertem Gras. Noch schnell das Glas austrinken. Ordnung muss sein.
In der Stadt bei den Freunden treff ich einen netten Herrn im schicken blauen Hemd. Diesem freundlichen Herrn schildere ich den Fall und geb auch meinem Missbehagen gegen diesen Wegelagerer Ausdruck. Natürlich in der notwendigen verbalen Zurückhaltung, nicht desto trotz in aller Deutlichkeit. Der freundliche Herr stimmt mir zu. Leider gibts am Schalter keinen Wein. Ich verstehe das, es ist ja keine Bar. Das teile ich meinem Freund mit, was diesen sehr gefällt, dass ich weiss, wo ich bin. Er ruft noch zwei Kollegen herbei, denen ich das ganze nochmals von diesen Via Konkursa Vereinsheini erkläre. Sie sind auch entsetzt und setzen eine grimmige Miene auf. Dieser Wegelagerer kann froh sein, dass er jetzt nicht da ist. Dem hätten sie sicher eines geteasert.
Meine drei Freunde schlagen mir schliesslich vor, dass ich doch hier bleiben soll, da der Abend eh durch diesen Wegelagerer ruiniert sei. Die zwei Dazugekommenen nicken zustimmend und ehe ich mich verseh, tragen mich die zwei in ein schickes Zimmer. Für die Hilfe bin ich froh, den irgendwie knicken mir dauernd die Beine weg. Es muss wohl der Schreck dieses Wegelagerers sein. Den werd ich auf Schadenersatz Das Zimmer gefällt mir sehr. Eher nüchtern, nicht wie diese überladenen baroken Zimmer im Dolder & Co.
Leider habe ich von der Feier auf dem Zimmer nicht mehr viel mitbekommen. Jedenfalls hat man mir am anderen Tag dann mitgeteilt, ich müsse noch die Anmeldung (so ähnlich muss es geheissen haben, hab den genauen Wortlaut des Formulars nicht mehr im Kopf) ausfüllen. Da ich es nicht so mit Formularen haben, haben meine Freunde einen netten Herrn bestellt, der mir helfen sollte. Ich kannte ihn nicht. Für meinen Geschmack etwas zu geschniggelt (Anzug, Krawatte, Aktenköfferchen usw.). Ich erklär ihm auf Wunsch alles nochmals. Darauf versichert er mir, dass er mir gegen diese Mafiosi aus dem fernen Kanton mit den hohen Bergen helfen wolle, dass sei ihm eine Pflicht und ich könne damit rechnen, dass er mich gegen jeden wegelagerischen Unbill verteididgen werde. Ein Held!
Irgendwie schmeckt das Wasser schal hier und ich war froh, dass ich am Nachmittag dann nach Hause konnte. Zuhause hab ich dann festgestellt, dass ich das Motorrad bei meinen Freunden gelassen hatte. Sobald ich meinen Fahrausweis wieder gefunden habe, werd ich es abholen gehen. Wenn ich nur wüsste, wo ich ihn liegen gelassen habe.
Denn Fahrausweis habe ich noch nicht gefunden, aber eine zweite Flasche Château Contredepression. *Glas einschenk*
Hab ich schon geschrieben, woher der Wein ist? *Nachschenk*
Ach, das erzähl ich dann ein andermal. Erst muss ich meinen Freunden ein Dankesschreiben schicken. Ob die einen Karton von meinem feinen Wein für das Firmenfest annehmen dürfen? *Nachschenk*